"Form folgt Funktion" ist die Hauptregel der Tierwirtschaft, und vorher noch der Natur, und in dieser Hinsicht ist der Maremmano ein Herdenschutzhund. Wer könnte also die Form, die Größe, den Typ und den Charakter eines Maremmanos besser definieren als die Schaefer selbst?

Infolgedessen besagt die zweite Regel, dass die Hundeausstellungen die Entsprechung bestimmter Eigenschaften in Bezug auf die zu erfüllenden Funktionen kontrollieren und identifizieren sollen. Das wird durch den Nachweis und Lobpreisung eines “Meistermodells” gemacht, welches niemals den flüchtigen Modetrends einer Generation angepasst werden sollte.

Der noch heute mit leichten Modifikationen gültige Rassenstandard für die Maremmanos wurde durch FCI verfasst, um anderen bereits existierenden Standards gerecht zu werden, und so die Dimensionen, Proportionen und andere Eigenschaften festzuhalten, die nicht erfunden sondern durch die Beobachtung arbeitender Hunde festgestellt wurden. Der erste Standard wurde 1924 verfasst, als der Maremmano nur als Herdenschutzhund und nicht als „Garten-Deko“ wie dann später in den 50er Jahren, eingesetzt wurde. Die Stichprobe, die zur Standardverfassung ausgesucht wurde, beinhielt Tiere, die nicht von wettbewerbsbesessenen Züchtern, sondern ausschließlich von Schäfern gezüchtet wurden, die ihre Hunde nur in Funktion ihrer Nützlichkeit bewerteten. Und der Schaefer von früher, im Gegensatz zu den feinen Herdenbesitzern, die ihre Tiere Albanern oder Makedoniern zum hüten anvertrauen, wusste ganz genau, dass der Hund zwar robust sein, aber auch den Schafen folgen können sollte, 24 Stunden am Tag , 365 Tage im Jahr, auf jeden Grund und bei jedem Wetter. Er wusste, dass übertrieben große Hunde nicht wendig und ausdauernd genug waren. Sollten die Schaefer von damals einen Schwergewichtler brauchen, würden die Experten von heute eine ganz andere Rasse vorfinden...

Während meiner Aufenthalte in den Abruzzen und in Apulien in den 80er Jahren bemerkte ich genau das, und zwar, dass alle Herdenschutzhunde nicht so riesig und schwer waren, wie manch einer damaliger Züchter sie gerne beschrieb. Erst kürzlich hatte ich die Bestätigung dieser These durch die Schaefer in Sizilien und in der Sila, die mir sagten, dass sie ihre Hunde zwar wohl groß und breitknochig wollten, aber nicht so, dass dies ihre Ausdauer und Beweglichkeit einschränken würde. Seine wir mal ehrlich, die Begegnungen von Angesichts zu Angesichts zwischen den Hunden und den Wölfen, die zu einem Kampf führten, waren viel zu selten, um wirklich Hunde auslesen zu können, die gute Kampfhunde wären. Die einzigen Daten zu Wolfstötungen in den Zentral-Apenninen, die uns zur Verfügung stehen, sind von Umberto D'Andrea: zwischen 1810 und 1924, hatten die Hunde (immer im Rudel und niemals ein Hund alleine) nur in 8% der Tötungen eine Rolle, und es handelte sich dabei immer um Wolfsjungen unter 10 Monaten. Es stimmt auch, dass es heutzutage riesige und schwere Maremmanos gibt, die ihren Platz in einer Villa oder einem Zwinger haben und die Aufgaben erfüllen, die man früher einem Cane Corso oder einem Mastino Napoletano anvertraute. Aber kein Schaefer würde so einen Hund je mit auf die Transhumanz mitnehmen, wo Hunde und Schafe tagelang unterwegs waren. Der weiße Herdenschutzhund ist so eigenartig, weil seine Arbeit schon immer so eigenartig war.

Natürlich bedeutet das nicht, dass das extreme Gegenteil das richtige ist: leichte Knochenstruktur, Fuchskopf, enge Brust, lockiges Fell würden das Überleben in der Herdenumwelt kaum zulassen.

Das Gerücht, dass der heutige Rassenstandard angepasst werden sollte, um einen größeren, sehr schweren Hund mit veränderten Kopf/Schnauze Verhältnis, dicker Haut mit Wamme und hängenden Lippen zu repräsentieren, ist eine Beleidigung für unsere Vorfahren. Persönlicher Geschmack oder der Wunsch, den Hundetyp, den man zufälligerweise zu Hause vorfindet, zum Standard zu machen, sollte keinen wissenschaftlichen Wert erhalten.

Wir sind uns alle einig darin, einige Adjektive, die zu viel Interpretationspielraum bieten, mit erklärenden Synonymen zu ersetzen, oder die Liste der Defekte wieder einzuführen, die zwar indem FCI-Standard vorhanden ist, aus der italienischen Version aber unter mysteriösen Umständen verschwunden ist. Darüber hinauszugehen würde bedeuten, eigene Interessen zu verfolgen und weitere Modifikationen nach dem Generationswechsel in Angriff nehmen. Es kann nicht angehen, dass eine Rasse, die bis heute erhalten wurde, vollkommen umgekrempelt werden soll, weil irgendjemand Titel und Anerkennung nicht anders erreichen kann.

Ich könnte meine Erörterungen an dieser Stelle beenden, den sowohl ENCI als auch FCI all das genau wissen, so dass keine wahre Schadengefahr für die Rasse besteht, aber das Geschwätz in den Social-Networks und anderswo kann der einen schweren Imageschaden der Rasse verursachen, vor allem im italienischen Ausland.

Wir können gern über alles diskutieren und philosophieren, ohne aber die Konkretheit des Standards mit ephemerischen Debatten herabzusetzen. Diejenigen, die daran gearbeitet hatten, waren weder dumm noch ignorant, und die Obrigkeit, welche diesen genehmigt hat, war kein Kaffeeklatsch-Treffen

Gianni Vullo - Expert und FCI-Ringrichter