Ein Maremmano in die Familie

Schönheit, Intelligenz, Ausgeglichenheit, Würde und angeborener Wachinstinkt – das sind nur einige der positiven Charaktereigenschaften der Maremmanos. Aber es gibt noch viel mehr, was bei anderen Rassen schwer zu finden ist – eine Spur der Ursprünglichkeit, und die Angewohnheit, Menschen als ihresgleichen, als Freunde und nicht als Herren und Gebieter zu betrachten.

Wenn Sie auf der Suche nach blinder Ergebenheit und Gehorsamkeit sind, dann ist diese Rasse wohl nicht die richtige; aber wenn Sie eine echte Freundschaft, etwas Humor und eine Einsicht in die Regeln des Rudels zu schätzen wissen, gibt es keinen besseren Hund für Sie, als einen Maremmano.

Wenn man bedenkt, wie diese Rasse Jahrhunderte lang benutzt wurde, hat der Maremmano gelernt, unabhängig zu sein und zu handeln, und auch genau im richtigen Moment einzugreifen, ohne auf menschliche Unterstützung warten zu müssen. Das harte und oft einsame Leben, das diese Hunde viele Jahre als Herdenschutzhunde führen mussten, hat ihren Charakter geformt und zu dem gemacht, was wir heute kennen und schätzen: zuneigungsvoll dem Besitzer gegenüber, ohne anhängig oder unterworfen zu sein, misstrauisch den Fremden gegenüber, und keine Scheu vor Eigeninitiative.

Sie sehen es – ein Maremmano wird nicht passiv auf Ihre Befehle hören oder Ihnen auf ein Fingerschnippen hin folgen. Diese Hunde sind sehr stolz und würdevoll, mit einem angeborenen Verantwortungssinn: sie werden all das, was ihnen anvertraut wurde, bewachen und beschützen, seien es Herdentiere, ein Grundstück, ein Haus … Der Maremmano muss als ebenbürtig behandelt werden; nur so wird er seinen Besitzer vollkommen zufriedenstellen.

Maremmanos sind einfach zu haltende Hunde: recht enthaltsam, was das Fressen angeht, lieben sie es, draußen zu sein, egal ob’s regnet oder schneit. Ihr langes und dichtes Fell ist ihre Art, sich den Umweltbedingungen anzupassen, unter denen sie jahrhundertelang gelebt haben, und schützt sie vor dem Regen und dem eisigen Wind.

Viel lieber als ins Haus reinzugehen, machen sie es sich auf der Erde bequem und schützen die Nase und die Füße mit dem Schwanz. Auch wenn sie mal schwarz vor Schlamm sind, weil sie die Nacht draußen im Regen verbracht haben, reichen ein paar Stunden trockenes Wetter, um sie wieder weiß und flauschig zu machen, dank dem schmutzabweisenden Fell.

Diese Hunde sind auch sehr säuberlich: Sie werden merken, dass bereits ganz kleine Welpen probieren, das „Klo“ so weit wie möglich von dem Ort zu verlegen, wo sie essen und schlafen.

Geschlechtsspezifische Unterschiede gibt es in den meisten Hunderassen, es ist aber selten so stark ausgeprägt wie bei dem Maremmano, nicht nur äußerlich, sondern auch, was den Charakter angeht. Der Rüde ist normalerweise grösser und stärker als die Hündin, und mit seiner dichten Mähne fast schon Löwenähnlich, aber zugleich auch weniger raffiniert. Vom Charakter her ist er ruhig und extravertiert, aber mit einem starken Konkurrenzsinn anderen Hunden gegenüber.

Die Hündin ist kleiner und eleganter, fast schon katzenhaft in ihren Bewegungen, niemals ungeschickt oder aufdringlich, voller Zuneigung zur Familie und protektiv gegenüber ihrem Rudel und Territorium. Die Hündin hat eine andere Art und Weise, ihren Wachinstinkt auszuleben, aber darauf wird später noch mal eingegangen.

Jetzt widmen wir uns den Charaktereigenschaften, welche die meisten Herdenschutzhunde besitzen, vor allem, wenn Hunde im Rudel zusammenleben, wo die Eroberung eines Territoriums von einer grundsätzlichen Bedeutung ist. Normalerweise ist der stärkste erwachsene Rüde der Rudelanführer, und wird irgendwann von einem jüngeren Rivalen bekämpft und unterworfen, wenn die Zeit dazu gekommen ist.

Während in einer Zucht solche Auseinandersetzungen kaum zustande kommen, da der Züchter die Rivalen trennen und unterschiedlichen Rudeln zuweisen wird, kümmert sich in der Schaeferwirtschaft natürlich niemand darum. Das Zusammenleben wird durch Naturgesetze bestimmt, wo nur die stärksten (nicht nur physisch, sondern auch psychisch) die Hierarchie-Leiter hochsteigen und so die Verantwortung für den Rest des Rudels übernehmen.

Das Leben im Rudel, vor allem bei Herdenschutzhunden, die schon immer in Gruppen gelebt und gearbeitet haben, ist durch einen starken Hierarchie-Sinn geprägt. Es gibt immer einen Rudelanführer, und alle anderen Hunde folgen seinen Anweisungen. In seltenen Fällen kann auch eine Hündin den Rudel anführen, oder die beiden können sich auch als Alpha-Paar zusammen tun.

Eine kuriose Besonderheit dieser Rasse ist die gelegentliche Schwierigkeit beim Paaren, eben durch das extreme Hierarchie-Gebilde bedingt. Nicht selten nähern sich die Hündinnen einem Rüden, den sie nicht kennen, gar nicht an. Der Rüde seinerseits, wenn er nicht daran gewöhnt ist, angeknurrt und „verachtet“ zu werden, wird es gar nicht probieren, die Hündin zu decken. Selbstverständlich sieht es bei zwei Hunden desselben Rudels ganz anders aus, und ein Rüde wird eine Hündin seines Rudels fast immer erfolgreich decken.


Naturwissenschaftliche Belege

In diesem Abschnitt wollen wir zusammen die Bestandteile, welche den Charakter und das Benehmen des Maremmanos ausmachen, untersuchen. In seiner Heimat in Italien hat der Maremmano schon immer als Herdenschutzhund gearbeitet. Das ihm unterstehende Territorium war weitläufig, und die Hauptfeinde, abgesehen von den Viehdieben, waren der Wolf und der Baer.

Wenn man bedenkt, dass das Benehmen hauptsächlich auf Instinkten basiert, der Charakter aber durch psychische Voraussetzungen bestimmt ist, stellt sich die Frage, was die beiden extern beeinflusst.

Das Benehmen kann angeboren oder erworben sein. Während das angeborene Verhalten durch Instinkte geprägt ist, wird das erworbene Verhalten durch die Erfahrungen bestimmt, wenn der Hund lernt, in einer bestimmten Weise auf die äußerlichen Stimuli zu reagieren. Diese können als das Zusammenspiel interner Impulse definiert werden, welche ein Individuum dazu führen, bestimmte koordinierte Handlungen zu einem bestimmten Ziel auszuführen.

Hier sind die Instinkte gelistet, die eine entscheidende Rolle in der Entwicklung eines Hundes spielen:

  • Fortpflanzungstrieb, der ihn dazu bringt, sich während der Paarungszeit zu paaren.
  • Selbsterhaltungstrieb, dank welchem der Hund flieht oder sich zurückzieht, wenn er Gefahr wittert oder einem Gegner gegenüber steht, den er als sich überlegenen beurteilt.
  • Der Instinkt, nach Essbarem in seiner Umgebung zu suchen.
  • Besitzerinstinkt, der ihn dazu bringt, das zu beschützen, was ihm anvertraut wurde.
  • Verteidigungsinstinkt, der ihm hilft, auch während der Ruhephasen wachsam zu sein; dies ist der besonderen Sinnesbegabung, au seiner Anzahl von Stimuli die auszufiltern, die er für bedrohlich hält.
  • Rudeltrieb, den ihn dazu bringt, mit seinesgleichen zu leben und nach ihrer Zustimmung zu suchen.
  • Unterwerfungsinstinkt, dank welchem er die Übermacht des Anführers anerkennt.

Die ersten drei Eigenschaften sind für unsere Untersuchung unerheblich, da sie allen Hunderassen (die ersten zwei), bzw. den Jagdhunden (die dritte), eigen sind. Die letzten vier sind dafür typisch für die Herdenschutzhunde. Im nächsten Abschnitt werden wir sehen, wie bestimmte psychische Voraussetzungen den Charakter des Maremmanos bestimmen.


Wachsamkeit oder Aufmersamkeit

Diese Eigenschaft ist eng mit dem Besitzerinstinkt verbunden. Ein aufmerksamer und wachsamer Hund ist niemals unvorbereitet und reagiert sofort. Er fühlt sich für all das, was ihm anvertraut wurde, sei es Grundstück oder Herdentiere, als zuständig und dafür verantwortlich. Von dieser Grundhaltung ausgehend entscheidet der Hund meist selbstständig, bis wohin seine Wachkompetenzen reichen, und nimmt „Verbesserungsvorschläge“ seitens des Besitzers oder des Schaefers nicht gern zu Kenntnis.

Dieses Verhalten kommt davon, dass der Maremmano sich auf einer Ebene mit seinem Menschen betrachtet. Eine Allianz, die auf gegenseitigem Vertrauen und Respekt, nicht auf Unterwerfung, basiert, und die sich während der Jahrhunderte im Dienste der Herde als die einzig wahre bewährt hat.


Aggressivität

Als Aggressivität bezeichnet man beim Hund die Tendenz, jeden, der anscheinend mit bösen Absichten zu nahe kommt, zu attackieren und zu beißen.Ein aggressiver Hund wird seinen Angriff ohne zu zögern so lange fortsetzen, bis das Kommando „Zurück“ vom Schaefer gegeben wird, er ist aber niemals ohne Grund aggressiv.

An dieser Stelle muss aber betont werden, dass es weder möglich noch ratsam ist, immer den Entscheidungen des Hundes zu folgen und seine eigenen dabei in Frage zu stellen, denn letztendlich wird das den Hund unsicher machen und Ihre Rolle dabei in Frage stellen.

Eine empirische Beobachtung die noch hilfreich sein könnte: der Hund wird sich genau in der Mitte zwischen dem Eindringling und dem zu bewachenden Gut/Grundstück stellen, um von dieser Stelle aus die Situation abzuschätzen und zu entscheiden, ob ein Eingreifen notwendig sei oder ob er zu seinem üblichen Wachplatz zurückkehren könne.


Mut und Treue

Der Maremmano ist ein mutiger und treuer Hund, und diese beiden Eigenschaften machen aus ihm einen engagierten und verantwortungsvollen Wachhund, unbestechlich und vollkommen ausgeglichen, so dass er mit Ruhe aus mehreren Stimuli diejenigen aussortiert, die seiner Beachtung benötigen, und handelt dann den Umständen entsprechend.

Seine Ruhe schöpft er aus der tiefen Überzeugung, im Recht zu sein und genau zu wissen, was zu tun ist. Seine Augen sind immer aufmerksam und entspannt, aber niemals verdächtig oder hinterhältig.


Intelligenz

Intelligenz ist die Faehigkeit, einer Erfahrung praktische oder begriffliche Bedeutung zuzuordnen; in Tieren umfasst das eine mehr oder weniger entwickelte Fähigkeit zu assoziieren, zu abstrahieren und zu koordinieren.

In einem Maremmano kommt die Intelligenz durch bewusste und gewollte, nicht instinktive Handlungen, zum Ausdruck, begleitet von einem recht gut entwickeltem Gedächtnis sowie gutem Vorstellungs- und Urteilsvermögen.

Dank seinem Intellekt kann der Maremmano Handlungen vollziehen, die einem Außenstehenden außergewöhnlich erscheinen. So kann er zum Beispiel ganz autonom sich dazu entscheiden, sich von der Herde zu trennen, um ein verletztes Schaf, ein neugeborenes Lamm oder grundsätzlich ein Tier, das aus einem anderen Grund der Herde nicht folgen kann, zu begleiten.

Oder wenn er geduldig neben einem Schaf wartet, bis dieses das Lamm zur Welt gebracht hat, um die beiden später zur Herde zurückzubegleiten. Man geraet leicht in Versuchung, dieses Benehmen einer gezielten Abrichtung zuzuschreiben, aber so ist es nicht. Es ist wichtig, immer daran zu denken, dass ein Maremmano kein Training im eigentlichen Sinne des Wortes braucht, denn seine Handlungen sind das Ergebnis eines Angleichungsprozesses, indem er schon von klein auf das Verhalten der älteren und erfahreneren Hunde nachahmt.

In der Weidenwirtschaft werden psychischen Abweichungen wie Angst, Hemmungen angesichts einer Gefahr, Fluchttendenz oder unnötige Aggressivität als schwerwiegende Charakter-Störungen, die entweder angeboren oder durch eine irrationale Verbindung zum Menschen erlernt sind, betrachtet und nicht geduldet. Solche Eigenschaften sind mit den Bedürfnissen der Schaefer unvereinbar, denn sie stören das Rudelgleichgewicht und sind praktisch nicht auszumerzen. Normalerweise kann der Schaefer solche Tendenzen bereits früh erkennen und das betroffene Tier aus seinem Herdenschutzrudel entfernen.